Kreuzweg - der gekreuzte Weg
Ein Kreuzweg mit 16 Stationen ist außergewöhnlich. - Aber was ist an einem Kreuzweg schon gewöhnlich?

Er beginnt mit der Angst, der Not, dem Verhandeln und der Verzweiflung: Warum gerade ich? Was wird im Einzelnen auf mich zukommen? Kann ich das, was kommt, aushalten?
"Vater, wenn möglich, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe."

Schon wird der schwere Weg real. Die Soldaten mit Judas kommen, um mich gefangen zu nehmen und mich vor Pilatus zu stellen. Kein Weg der Freiheit öffnet sich. Selbst meine Jünger verlassen mich oder verleugnen mich. Niemand spricht für mich. Meine Verteidigung heißt:
"Mein Reich ist nicht von dieser Welt".

Gekrönt wie ein König, verlacht wie ein Verbrecher beginne ich den letzten Weg. Ich nehme das Kreuz an, die äußerste Schmach des Menschen und trage es unter unsäglichen Schmerzen mitten durch Gaffer und Mitfühlende. Wessen Schuld trage ich? Die Schuld der Menschen.
"Vater, vergib ihnen."

Schwer drückt die Last auf die wunden Schultern und die tieftraurige Seele. Ist die Last zu tragen? Werde ich den schweren weiten Weg bis zum Ende gehen können? Der Weg ist uneben und steigt an. Ich wanke und falle. Das Kreuz erdrückt mich.
"Vater, sende mir deine Engel."

Die Soldaten reißen mich hoch. Erneut lädt man mir das Kreuz auf den Rücken in die blutenden Wunden. Welche Qual. Da steht meine Mutter und weint. Blutleer wankt sie. Ich kann ihr keine Stütze sein. Ja, ich spüre ihren Schmerz in meinem. Mit meinem Blick will ich sie trösten.
"Mutter, stark wie der Tod ist die Liebe."

Schwäche und Last drücken so schwer, dass ich wieder stürze. Woher kommt mir Hilfe? Ein Mann des Volkes wird gezwungen, mir zu helfen. Wie schämt er sich meiner und seines erzwungenen Dienstes. Von der Besatzung erniedrigt, diesen unwürdigen Dienst auszuführen. Seine Seele schreit vor Verzweiflung.
"Simon, selig bist du, wenn du um meinetwillen beschimpft und entehrt wirst. Dein Lohn im Himmel wird groß sein."

Blut rinnt mir in die Augen, verklebt an meinen Wangen. Mutig tritt eine Frau aus der Menge und reicht mir ein Leinentuch. Dankbar berge ich mein Gesicht hinein. Wie tut das Leinen gut und das Mitgefühl einer Frau. Doch ein Soldat reißt mich fort.
"Veronica, dir schenke ich mein Antlitz."

Niedergestreckt durch Schmerz und Schwäche liege ich wieder auf dem staubigen Weg. Ein Wurm und kein Mensch mehr. Verlassen und ausgemergelt, in Hilflosigkeit und Todesangst, verspottet und verhöhnt. Darf ich jetzt schon sterben?
"Vater, erbarme dich über mich und über die ganze Welt."

Und doch zerrt man mich weiter, vorbei an weinenden Frauen. Sie sind die Vermittler des Lebens und fühlen mit mir. Ihre Tränen trösten meine Seele. Aber welches Leid wird über sie selbst und ihre Kinder kommen. Ich kann sie nicht mehr trösten.
"Weint über euch und eure Kinder."

Ich kann nicht mehr. Es geht mir wie in Psalm 22: Ich bin hingeschüttet wie Wasser, gelöst haben sich alle meine Glieder, meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, ich lege mich in den Staub des Todes.
"Vater, erbarme dich."

Welche Schande. Ausgezogen, der Kleider beraubt, nackt vor den Menschen, die mir nicht gut wollen. Wer bedeckt meine Blöße? Schützt meinen geschundenen Körper vor den Gaffern? Man hat mir das Ansehen genommen, will man auch noch meine Würde zerstören?
"Vater, sieh mein Elend und meine Plage und erlöse mich."

Schmerz über Schmerz. Hände und Füße mit Nägeln durchbohrt. Der Baumstamm wird aufgerichtet und in das vorgesehene Erdloch gerammt. Welch eine Erschütterung für meinen angenagelten Leib.
Und die Soldaten freuen sich über ihre gelungene Arbeit.
"Vater, wann darf ich meinen Geist ausatmen?"

Die Qual will nicht enden: Mein Atem kann nicht mehr fließen und stockt. Der Brustkorb wölbt sich im Ersticken. Der Mund ist ausgetrocknet und sehnt sich nach Wasser. Aber es gibt nur Essig.
Nur der Schächer neben mir hat Mitleid. Er wird mit mir im Paradies sein.
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Endlich ist es vollbracht. Ich habe meinen Geist ausgehaucht.
Josef von Arimathäa nimmt meinen Leib vom Kreuz ab und legt ihn meiner Mutter in den Schoß. Sie liebkost meinen Leichnam mit ihren Tränen und ihrem Schluchzen. Frauen salben ihn und wickeln ihn in Leinentücher.
"Vater, danke du ihnen ihren Liebesdienst."

Josef von Arimathäa trägt mit anderen Männern meinen Leichnam in ein nahes Grab, in das noch niemand bestattet wurde. Sie sprechen mit den Frauen unsere jüdischen Sterbegebete, während die Soldaten den schweren Stein vor das Grab schieben. Bewaffnete sollen das Grab bewachen. Man fürchtet, mein Leichnam könnte gestohlen werden.
"Mächtiger als der Tod ist das Leben."

Hinabgestiegen in das Reich des Todes. Die, welche auf Erlösung warten, dürfen mit mir auferstehen in mein Reich. Ich öffne durch meinen Kreuzweg den Weg zum Leben bei meinem Vater und eurem Vater.
"Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit."
"Ich bin das Wasser des Lebens."
"Ich bin das Licht der Welt."
Meditationstext: Ursula Türk (April 2016)
Die Meditation als pdf-Datei.
Aus der Chronik der Pfarrei Westerburg:
"Im Juni 1967 wurde der Kreuzweg für die Christkönigkirche in die Wände eingelassen. Er wurde von der Künstlerin Frau Giefer-Bahn, Höhr, in der einheimischen Kunstart der Westerwälder Keramik geschaffen."